Gentrifizierung erklärt anhand der rent-gap-theory und value-gap-theory

Protest gegen Immobilien-Spekulation in der Karl-Marx-Allee 2018/2019: "Das ist hier nicht Monopoly" und '"Rettet unsere Allee"
Protest gegen Immobilien-Spekulation in der Karl-Marx-Allee 2018/2019: "Das ist hier nicht Monopoly" und '"Rettet unsere Allee"

Es gibt innerstädtische Veränderungsprozesse, die zu einem Bevölkerungsaustausch führen, im Zuge dessen sozial schwächere Bevölkerungsgruppen verdrängt werden. Wenn dies auf die bauliche „Aufwertung“ von innerstädtischen Gebieten zurückzuführen ist, spricht man von Gentrifizierung, auf Englisch: gentrification.

Aufgabe der wissenschaftlichen Analyse ist es, Prozesse des Wandels quantitativ und qualitativ zu analysieren, zu definieren und in Theorien zu formulieren, die diese Veränderungsprozesse erklären.

Stadtforscher:innen und Stadtsoziolog:innen gehen dem Phänomen Gentrifizierung seit den 1970er Jahren auf den Grund. Zwei Erklärungsansätze, wie es zu innerstädtischen sozialstrukturellen Veränderungen kommt, sind die „rent-gap-theory“ und die „value-gap-theory“. Ursache für den Wandel in Städten sind die Marktmechnismen, also ökonomische Gesetzmäßigkeiten als treibende Kraft.

In Kapitel 2 meiner Magisterarbeit zum Thema Gentrifizierung in Ost-Berlin habe ich u.a. die ökonomische Theorie vorgestellt, die die sozialräumliche Verteilung bestimmter Bevölkerungsgruppen laut Häußermann und Siebel in bestimmten Gebieten auf Kosten-Nutzen- bzw. Nachfrage-Angebot-Kalkulationen zurückführen:

2.2. Die ökonomische Theorie 

Die sozialräumliche Verteilung bestimmter Bevölkerungsgruppen in bestimmten Gebieten ist in der ökonomischen Theorie auf Kosten-Nutzen- bzw. Nachfrage-Angebot-Kalkulationen (Häußermann/Siebel 2004: 126) zurückzuführen. Der Bodenpreis bestimmt, welche Nutzungen in welchen Gebieten vorherrschen. Der Bodenpreis wird bestimmt durch die Transportkosten („in Zeit oder Geld“ (Häußermann/Siebel 2004: 127)), wobei die Bodenpreise im Zentrum am höchsten sind und abnehmen, je weiter man sich von diesem entfernt. Je nachdem welche Nutzungen in einem Gebiet dominieren (z. B. kulturelle, wirtschaftliche und soziale Infrastrukturen), sortieren sich spezifische Nachfragegruppen in diesem Gebiet. Mit Häußermanns/Siebels Worten: „So bildet sich bei unterschiedlich profitablen Nutzungen ein ökonomisches Gleichgewicht, die Stadtstruktur wird durch Standortpräferenzen unterschiedlicher Nutzungen und unterschiedlicher Nachfragegruppen geprägt.“ (2004: 127). Des Weiteren weisen Häußermann und Siebel darauf hin, dass neben der ökonomischen Bewertung (Transportkosten) einer Gegend auch andere Merkmale eines Gebietes, wie z. B. die Infrastrukturausstattung oder das „Image eines Gebietes“ entscheidend für die Standortwahl sein können. Es werden drei Nutzungen unterschieden, die je verschiedene Präferenzen für ihre Standortwahl haben: industriell-gewerbliche Nutzung, kommerziell-gewerbliche Nutzung und Wohnnutzung. Die ökonomische Theorie schließt die politische Stadtplanung als Einflussfaktor auf die Stadtstruktur nicht aus, jedoch sind die entscheidenden Determinanten für die räumliche Struktur die ökonomischen Prozesse, die nicht isoliert betrachtet werden, sondern in gesamtgesellschaftlichen und globalen Zusammenhängen auf die Organisation der Stadt wirken. Veränderungen in der räumlichen Organisation der Stadt werden in dieser Theorie den veränderten Nachfragen zugeschrieben. „Der Wandel der Städte ist also letztlich ein Ausdruck der Veränderungen städtischer Beschäftigungsstrukturen, die ihrerseits von globalen ökonomischen Prozessen beeinflusst werden“. (Häußermann/Siebel 2004: 87). 

Die ökonomische Theorie hat für die Aufwertung innenstadtnaher Gebiete einen Erklärungsansatz, der in der Literatur als „rent-gap-theory“ bzw. „value-gap-theory“ bezeichnet wird. Ein Grundstück oder ein Gebäude in einem Altbaugebiet beispielsweise kann durch seine zentrale Lage und andere positive Standortfaktoren für Investitionen attraktiv werden, wenn das entsprechende Gebiet aufgewertet wird. Als „rent-gap“ wird die Differenz zwischen dem aktuellen Bodenwert vor der Aufwertung und dem potentiellen Bodenwert eines Grundstücks nach der Aufwertung des Gebiets bezeichnet. Durch die Aufwertung des Gebietes und eine erhöhte Nachfrage steigert sich der Wert des Grundstücks, und somit lohnt sich die Investition. Die „value-gap-Theorie“ beschreibt dasselbe Prinzip, bezieht sich aber auf den „veränderten Wert der Wohngebäude“ (Häußermann 2000: 65) und betont zudem die gewinnorientierten Investitionen in Wohnungen und Wohngebäuden durch Sanierungen und Modernisierungen. Die Investitionen werden angeregt durch die erhofften höheren Mieteinnahmen und die gewinnbringende Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen. Die Mieten, die vor der Modernisierung/Sanierung bezahlt werden, reichen aber nicht aus, um die Kosten zu tragen. Nur wenn die Möglichkeit besteht, nach der Modernisierung/Sanierung höhere Mieteinnahmen zu erzielen, die die Baukosten decken, wird investiert. „value-gap“ bezeichnet so die Differenz zwischen dem aktuellen Wert eines einzelnen Gebäudes, das durch Desinvestitionen keine hohen Mieteinnahmen zulässt, und dem potentiellen Wert, der erreicht werden könnte, da die Häuser in einer attraktiven innenstadtnahen Gegend liegen. 

Diese Differenz kann durch Investitionen überbrückt werden, wenn es anschließend Mieter gibt, die in diese Gebiete ziehen wollen. 

Durch die Aufwertung der Gebiete kann es zu einem Bewohnerwechsel kommen, da durch die Investitionen „neue Mieter der Mittelschicht“ (Blasius 1993: 24) in die Gebiete ziehen, in denen vorher zumeist Angehörige der Unterschicht wohnten. 

Auch die politische Theorie der Stadtentwicklung betont diese Erklärungsansätze für die Aufwertung innenstadtnaher Gebiete bzw. als Erklärung für die Verdrängung von Bewohnern aus diesen Gebieten. Jedoch betont die politische Theorie den Einfluss politischer Kontrollmöglichkeiten in die Stadtentwicklung, während die ökonomische Theorie die Gesetzmäßigkeiten der Marktwirtschaft als treibende Kraft für die Stadtentwicklung sieht.

Symbolbild für die von ökonomischen Interessen verursachten Verdrängungsprozesse in der Karl-Marx-Allee. Das Bild zeigt Protestplakate an einem Gebäude, das 2018/2019 von der damaligen Eigentümerin Predac an die Deutsche Wohnen verkauft werden sollte. Die Mieterproteste verhinderten dies.

Protest gegen Immobilien-Spekulation in der Karl-Marx-Allee 2018/2019: "Das ist hier nicht Monopoly" und '"Rettet unsere Allee"
Protest gegen Immobilien-Spekulation in der Karl-Marx-Allee 2018/2019: „Das ist hier nicht Monopoly“ und ‚“Rettet unsere Allee“